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Gambia

Bevor die gambischen Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wussten wir kaum etwas über dieses kleine Land. Das hat sich grundlegend geändert. Wir wissen jetzt mehr über die Schreckensherrschaft von Yahya Jammeh, die Armut und die schwierigen Lebensbedingungen dort. Wir haben Menschen kennengelernt, die mutig ihr Land verlassen haben, um diesem Land und ihren Familien zu helfen, und die mit Stolz und Liebe über ihr Volk und ihre Heimat erzählen. Viele haben unsere Herzen gewonnen, weil wir freundliche, fleißige und hoch motivierte Menschen schätzen. Sie haben Brücken gebaut, durch die wir die Probleme Afrikas besser verstehen.

 

Als ca. 2% der Einwohner das Land verließen, litt Gambia noch unter der jahrzehntelangen Diktatur und schweren Menschenrechtsverletzungen. Familien und Gemeinschaften sammelten riesige Summen für diese Fluchtreisen und verschuldeten sich. Einige übernahmen später sogar noch mehr Schulden, um ihre Kinder von den libyschen Schleppern wieder loszukaufen. Viele von ihnen starben auf See, in Libyen und in der Sahara. Bis heute ist nicht klar, wie viele Verschollene tot oder immer noch in lybischen Lagern gefangen sind. Innenminister Thomas Strobl hat 2016 – noch vor der Wahlniederlage von Yahya Jammeh, als noch niemand zu hoffen wagte, dass der Diktator seinen Platz räumen muss - gefordert, Gambia zu einem „sicheren Herkunftsland“ zu erklären. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Fluchtursachen - Folterungen, viele Vermisste und Verfolgte – noch hoch aktuell. Bis zu 15 Jahre Haft drohten für Kritik an Regierung und Beamtenschaft im Netz. Tod, Folter und Verfolgung drohte Menschen oft willkürlich auch ohne Grund.

 

Fast 10.000 Gambier sind voraussichtlich abschiebepflichtig- allein in Baden-Württemberg. Und 15 davon in Ilvesheim. 2018 sind allerdings nur 144 Gambier aus ganz Deutschland nach Gambia zurückgekehrt. Aktuell wird immer wieder versucht, mehr Abschiebungen durchzuführen. So sind z.B. zwischen November 2018 und März 2019 mehr als 100 Gambier abgeschoben worden. Auch Gambier aus Ilvesheim waren betroffen.

 

Mindestens 2400 Gambier sollen aktuell zurückgeschickt werden. Allerdings kann man aufgrund der Zahlen in der Vergangenheit getrost davon ausgehen, dass dies noch sehr lange dauern wird. Es sind übrigens nicht, wie man immer hört, nur Straftäter, sondern auch Menschen, die schon mehrere Jahre in Deutschland leben, einer festen Arbeit nachgehen, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und Steuern an den deutschen Staat zahlen. Sie haben die schwere deutsche Sprache meist ohne schulische Unterstützung gelernt, denn Flüchtlinge ohne „Bleibeperspektive“ bekommen fast überhaupt keine Unterstützung bei der Integration. Trotzdem verrichten viele von ihnen in deutschen Unternehmen gute Arbeit, spielen erfolgreich in deutschen Fußballvereinen, engagieren sich in Sport- und Kulturvereinen und haben auch deutsche Freunde. Sie sind nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten und haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Viele dieser Gambier wurden von der Polizei aus den Betrieben und aus Schulen abgeholt, in ein Flugzeug gesetzt und nach Gambia abgeschoben. Manche dieser Leute mussten ihre Kinder in Deutschland zurücklassen, manche waren kurz davor zu heiraten. Und auch gute Beziehungen und Freundschaften zwischen Gambiern und Deutschen sind zerstört worden.

 

Die Abschiebungen der letzten Monate haben dazu geführt, dass viele Gambier in Angst leben. Sie alle wissen, dass es jeden jederzeit treffen kann. Und niemand weiß, wer der nächste sein wird. Manche tauchen unter, um nicht abgeschoben zu werden, und wir wissen manchmal nicht, ob es ihnen gut geht. Auch die Unternehmen, die Gambier beschäftigen, leben mit der Angst, dass ein gambischer Mitarbeiter von heute auf morgen nicht mehr zur Arbeit kommt oder gar im Betrieb wie ein Verbrecher festgenommen wird. Und dies obwohl diese gambischen Mitarbeiter oft hochmotiviert und zur Zufriedenheit ihrer Chefs und Kollegen arbeiten und die Betriebe diese Mitarbeiter dringend brauchen. Die deutsche Wirtschaft findet in manchen Branchen heute nicht genügend Mitarbeiter. Es wäre also eigentlich das vernünftigste, gut integrierten, fleißigen und motivierten Mitarbeitern eine Bleibeperspektive zu gewähren, auch wenn deren Asylantrag abgelehnt wurde. Dies wird bei Flüchtlingen schon so praktiziert, die eine Berufsausbildung machen. Sie werden nicht abgeschoben. In Deutschland gibt es viel weniger junge Menschen und beruflichen Nachwuchs als in anderen Ländern, und die deutschen Unternehmen werden auch in Zukunft darauf angewiesen sein, Mitarbeiter aus Nicht-EU-Ländern zu gewinnen. Statt also diejenigen, die sich bereits bewährt haben, hier zu behalten, werden aber momentan viele Anstrengungen unternommen, um andere Arbeitskräfte aus fremden Ländern zu uns zu bringen.

 

Rechnet man die Zahl der aktuellen Abschiebungen von Gambiern hoch, dann stellt sich heraus, dass es noch mindestens 69 Jahre dauern wird, bis alleine diejenigen abgeschoben wurden, die sich jetzt in Baden-Württemberg befinden. Machen wir uns also nichts vor: Die meisten Gambier werden bei uns bleiben! Wir sollten das bei all unseren Überlegungen berücksichtigen und besser an einer erfolgreichen Integration dieser Menschen arbeiten als eine Atmosphäre der Angst unter ihnen zu verbreiten. Menschen, die in den kommenden Jahrzehnten in ständiger Angst leben, werden nicht immer nur positive Beiträge zu unserem Alltag beisteuern können.

 

Seit 2017 ist Gambia keine Diktatur mehr mit massiven Menschenrechtsverletzungen unter einem autokratischen Herrscher, sondern eine, wenn auch sehr junge, Demokratie. Es gibt Redefreiheit, ein demokratisches Parlament, sogar eine Wahrheitskommission, die Verbrechen des Staates offen untersucht. Diese Pläne überfordern allerdings die Kapazitäten dieses kleinen Landes: kommen die Prozesse gegen folternde Polizisten zu früh? Ist die Anzahl der Personen, die vor Gericht erscheinen müssen, nicht zu groß? Ist in der aktuellen Situation nicht Versöhnung wichtiger als Bestrafung? Regelmäßig finden Kundgebungen von Opfern und Gegnern des Jammeh-Regimes statt – mit vielen Forderungen für Wiedergutmachung, aber auch für Rache. Das Land ist noch nicht wirklich befriedet.

 

Im Jahr 2019 ist die aktuelle Fluchtursache Nr. 1 die daniederliegende Wirtschaft. Es gibt viel zu wenig Arbeitsplätze in diesem heruntergewirtschafteten Land. Anschubinvestitionen und professionelle Unterstützung, damit Gambia wieder auf die Beine kommt, wären dringend von Nöten. Doch auf diesem Gebiet fehlt immer noch internationales und auch deutsches Engagement: In Gambia gibt es bis heute kein einziges bilaterales deutsches Projekt. In Mannheim tut sich allerdings etwas: Der Mannheimer Morgen investierte am 24. August eine ganze Seite um Gambia als Reiselandbekannt zu machen. Den Tourismus wiederzubeleben würden natürlich eine große Hilfe sein, aber noch lange nicht alle Probleme lösen...

 

Wir können nur hoffen, dass Politiker erkennen wie man Fluchtursachen wirksam, auch in Gambia, bekämpft. Und uns selbst weiterhin für die Integration der gambischen Flüchtlinge in Deutschland einsetzen.

 

Falls Sie dabei mithelfen möchten, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.